Freitag, 19. Oktober 2012

Gesellschaft auf Autopilot

Wenn mich die Kollegen von the gap bitten, mir Gedanken über Themen, wie zB. Schwarmdummheit zu machen, dann mache ich das natürlich. Hier also, was mir dazu eingefallen ist:

Wie hoch ist eigentlich die aktuelle Informationsüberlastung? Verschiedene Studien kommen auf unterschiedlichste Werte, die meisten davon liegen dabei weit jenseits der 90%!

Schwarmdummheit_thumbWir steuern daher im „Autopiloten“-Modus durch´s Leben und picken uns hochselektiv, lediglich die reizvollsten Rosinen aus dem Reizkuchen, der uns tagtäglich reingewürgt wird. Unser Alltag ist ein einziges „Rauschen“ – geprägt und strukturiert durch Gewohnheiten, Routinen und Wiederholungen – das lediglich durch ein paar wenige proaktive und bewusste Handlungen unterbrochen wird. Konrad Paul Liessmann bringt´s auf den Punkt, wenn er den Alltag als einen Ort beschreibt, „in dem es in einem nahezu existenziellen Sinn um Wahrnehmungsreduktion, nicht um Wahrnehmungsschärfung geht.“

In dieser Reduktion nehmen wir lediglich Atmosphären wahr, die wieder rum diffuse Stimmungen in uns auslösen, die uns zu beiläufig wirkenden Urteilen wie „irgendwie gut…“ oder „eh ok…“ veranlassen und sich in ihrer reduziertesten Form gerade einmal als „like“ manifestieren.

Das bedeutet aber wieder rum, dass die Wahrnehmung von ausdifferenzierten Informationen, deren elaborierten Verarbeitung und daraus resultierenden Meinungen und Handlungsweisen (jenseits von Schwarz-und-Weiß), nur in Situationen möglich ist, in denen wir eine gewisse Involvierungsschwelle übersteigen oder bei einigen wenigen Themen, bei denen wir uns selbst einen Expertenstatus zuschreiben.

Es scheint klar, dass diese „Autopilotisierung“ unserer Gesellschaft dem Populismus, der Werbung und überhaupt der Manipulation der Massen Türen und Tore öffnet. Es kommt das Einfache vor dem Komplexen, das Konkrete vor dem Abstrakten, die Bewertung vor der Auseinandersetzung und überhaupt die Lösung vor dem Problem. Dass diese Strategie durchgeht, kann bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck einer dumpfen Gesellschaft erwecken.

Wo die Grenze zu ziehen ist, aber der die Dumpfheit in selbstzerstörerischem Maße gefährlich wird, ist wahrscheinlich die falsche Frage, schon deshalb, weil ich darauf keine Antwort hätte...

erschienen in: the gap Nr. 130 (Oktober 2012)

Peter Dietrich the gap 130 Okt 2012 Schwarmdummheit

Stunde der Stümper oder die Weisheit der Vielen?

Mit der abgefrühstückten Diskussion über Social Media, kam auch ein Streit wieder auf´s Tapet, der uns noch ein wenig länger aufstoßen wird: Hat nun die „Stunde der Stümper“ (Keen) geschlagen oder beweist sich „Die Weisheit der Vielen“ (Surowiecki)?

Peter Dietrich Gastkommentar Horizont Nr42/2012Wie meist bei derartigen Pauschalierungen, wird selten so heiß gegessen, wie gekocht. Eher scheint schon die 90-9-1-Regel (Nielsen) einen Nachschlag zu verdienen:

90% aller Beteiligten sind eigentlich unbeteiligt, ihr Beitrag beschränkt sich maximal auf passive Rezeption.

Weitere 9% sind mehr oder weniger aktiv und lassen sich zu wenig elaborierten Entäußerungen hinreißen, die sich stark um die Pole des Schwarz-Weiß-Kontinuums konzentrieren. Ihre diffusen Stimmungen manifestieren sich in ihrer reduziertesten Form als rasch geklicktes „like“.

Diese „Autopilotisierung“ unseres Alltags öffnet dem Populismus, der Werbung und überhaupt der Manipulation der Massen Türen und Tore. Politik, Medien, Wirtschaft etc. haben brav gelernt, das Einfache vor das Komplexe, die Bewertung vor die Diskussion, die Lösung vor das Problem zu stellen.

Daran werden auch die restlichen 1% wenig ändern. Sie zeichnen sich durch ein erhöhtes sachliches, soziales oder kognitives Involvement aus, was sie zu einer teils überbordenden Diskursbereitschaft und proaktiven Handlungen motiviert.

Das stellt alles keinen Paradigmenwechsel dar. Was – via Social Media – jedoch eine radikal neue Dimension erzeugt hat, ist die permanent aktualisierte Aggregation von öffentlichen Meinungen und deren nachvollziehbare Visualisierung. Man könnte sagen, unsere unsichtbare, „soziale Haut“ (Noelle-Neumann) hat sich in diesem Punkt nun tatsächlich materialisiert.

Wie wohl wir uns in dieser Haut fühlen und was das mit uns und den großen Manipulatoren machen wird, werden wir bald empirisch untersuchen können. Ob allerdings irgendwann – und das wäre wirklich spannend – kollektiv durchsickern wird, dass die „Masse“, deren Handlungen wir beobachten, lediglich 9+1% von uns Usern sind, da bin ich pessimistisch.

(Gastkommentar, erschienen im Horizont Nr 42, Okt 2012)

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